Diskussionskekse

Aner Voloder ist Jurist und Projektleiter Fachstelle für Gleichstellung Stadt Zürich sowie Mitglied des Beratungsteams belaestigt.ch. Er hat sich bereit erklärt, die Sprüche, die eingebacken in Diskussionskeksen verteilt wurden, zu kommentieren.

Darf ich Aktkunst im Büro aufhängen?

«Sexuell konnotiertes Material gehört nicht an den Arbeitsplatz, es sei denn, es hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit, die ausgeübt wird. Aktkunst wäre daher beispielsweise grundsätzlich unproblematisch in einer Galerie oder in einer Kunsthochschule. Fraglich ist aber auch in dieser Konstellation, ob sachliche Gründe dafürsprechen, dass es in einem Büro aufgehängt werden muss oder soll.»


Darf ich meine Mitstudierenden oder Arbeitskolleg:innen nach ihrem Beziehungsstatus fragen?

«Der Beziehungsstatus gehört zur Privatsphäre eines Menschen. Je nach Kontext und Verhältnis kann eine solche Frage durchaus übergriffig wirken. Im Zweifelsfall empfiehlt es sich abzuwarten, bis die betreffende Person selbst etwas über ihren Beziehungsstatus offenbart, beispielsweise bei einem Pausen-Gespräch oder bei einem gemeinsamen Kaffee.»


Darf ich meine Mitstudierenden oder Arbeitskolleg:innen nach ihrer sexuellen Orientierung fragen?

«Direkte Fragen zur sexuellen Orientierung können übergriffig und persönlichkeitsverletzend wirken. Es kommt stark auf das Verhältnis und den Kontext an. Es empfiehlt sich eher abzuwarten, bis die betreffende Person selbst etwas dazu offenbart, bspw. bei einer im ungezwungenen Rahmen erzählten Geschichte aus dem Privatleben oder wenn die Person in der Kaffee-Pause von ihren Ferien mit ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner erzählt.»


Gibt es unproblematische Witze mit Bezug zu Sexualität?

«Generell gehören sexuell oder sexistisch gefärbte Sprache, Witze oder ähnliche Verhaltensweisen nicht in den Arbeitskontext. Vorgesetzte haben diesbezüglich eine Vorbild-Funktion. Es ist an ihnen, Grenzen zu setzen, wie und worüber am Arbeitsplatz gesprochen wird. Sexuell gefärbte Witze oder Bemerkungen oder Erzählungen stellen zudem oft eine Machtdemonstration dar.»


Ich habe mich unwohl gefühlt, aber erst Monate später gecheckt, dass ich sexuell belästigt wurde. Kann das sein?

«Das kann durchaus sein. Und es ist völlig legitim, dies erst später zu bemerken und auch anzuerkennen. Grenzüberschreitungen und Verletzungen der persönlichen Integrität brauchen Zeit, um verarbeitet zu werden. Lassen Sie sich entsprechend beraten und holen Sie sich Unterstützung, beispielsweise bei belästigt.ch


Ist es angebracht, Mitstudierende oder Arbeitskolleg:innen an deren Geburtstag zu umarmen?

«Hier kommt es ebenfalls auf das bestehende Verhältnis zwischen den Beteiligten an. Gehören herzliche Begrüssungen mit Körperkontakt bereits dazu? Massgebend ist immer das subjektive Empfinden der betroffenen Person. Jeder Mensch definiert seine persönlichen Grenzen selbst, was die anderen zu respektieren haben. So kann sich je nach Konstellation auch eine Umarmung als Grenzüberschreitung anfühlen.»


Können Liebesbeziehungen zwischen Vorgesetzten und ihren Unterstellten unproblematisch sein?

«Diese sind grundsätzlich problematisch, da sich in diesen Konstellationen private und berufliche Interessen in die Quere kommen. Interessens- und Loyalitätskonflikte können aufgrund des Hierarchieverhältnisses (Vorgesetzten Funktion, Weisungsbefugnisse, Beurteilungspflichten etc.) kaum vermieden werden und zu Spannungen – auch innerhalb eines Teams – führen bis hin zu Machtmissbrauch.»


Sich im Augenblick der Belästigung zu wehren, ist nur in Hollywoodfilmen möglich.

«Bei einer Grenzüberschreitung oder einem Übergriff befinden sich Betroffene zunächst in einem Schockzustand. Schlagfertiges Kontern ist dann nicht immer möglich und zumutbar, insbesondere bei einem starken Abhängigkeitsverhältnis zur tatausübenden Person. Darum ist die Sensibilisierung von Vorgesetzten und Mitarbeitenden enorm wichtig. Im Rahmen von massgeschneiderten Weiterbildungen können sie lernen, wie sie andere unterstützen und hinschauen und nicht wegschauen.»


Vorgesetzte und Mitarbeitende sollten meiner Meinung nach nicht zusammen ein Bier trinken gehen.

«Grundsätzlich ist ein solches Treffen unproblematisch, es sei denn, die Beweggründe dafür liegen ausserhalb des beruflichen oder rein kollegialen Kontextes. Bei hierarchischen Verhältnissen besteht ja potentiell stets die Gefahr eines Interessenkonflikts. Entsprechend sind die Rahmenbedingungen klar zu "halten".»


Warum ist es für mich einfacher, für andere Hilfe und Unterstützung anzufordern als für mich selbst?

«Bei grenzüberschreitenden Erfahrungen werden Betroffene oftmals des Gefühls beraubt, über ihre persönlichen Grenzen bestimmen zu können. Es ist für manche Personen schwierig, dieses Gefühl der Ohnmacht, der Hilflosigkeit oder der Scham zu ertragen, weshalb sie belästigendes Verhalten negieren, wenn es sie selbst betrifft. Zivilcourage ist ganz wichtig, weil sie den betreffenden Personen vermittelt, dass ihnen Unrecht geschieht und andere das auch so wahrnehmen.»


Was ist schwieriger: Sich gegen anzügliche Blicke oder gegen anzügliche Bemerkungen zu wehren?

«Das lässt sich nicht so pauschal beantworten. Die Schwierigkeit bei anzüglichen Blicken ist, dass sie häufig nicht sofort als solche erkennbar sind. Und auf anzügliche Blicke kann Weiteres folgen. Wichtig ist, dass die betroffene Person ihre eigene Wahrnehmung bzgl. der Unerwünschtheit eines solchen Verhaltens ernst nimmt und weiss, dass sie einen gesetzlichen Anspruch darauf hat, ihre Arbeit in einer belästigungsfreien Arbeitsumgebung zu verrichten. Wichtig ist, mit entsprechend geschulten Personen darüber zu sprechen.»


Wenn ich in der Pause lautlos Pornos auf meinem Handy schaue und niemand auf meinen Bildschirm sieht, ist das okay.

«Pornographisches Material am Arbeitsplatz ist gemäss Gleichstellungsgesetz grundsätzlich verboten. Ob dabei eine weitere Person zuschaut, es mitbekommt oder nicht, spielt keine Rolle.»


Wollen Menschen, die wir schön finden, das wissen?

«Es ist schwierig, diese Frage pauschal zu beantworten. Massgebend ist das subjektive Empfinden der Adressat*innen einer solchen Aussage und ob sie dies als Kompliment auffassen oder nicht. Auch das Verhältnis zwischen den Beteiligten spielt eine Rolle. Falls Unerwünschtheit signalisiert wird (bspw. auch über den Gesichtsausdruck), ist damit selbstverständlich aufzuhören.»


X. ist pansexuell/asexuell/… Ich habe viele Fragen dazu. Darf ich sie X. stellen?

«Direkte Fragen zur Sexualität, zur sexuellen Orientierung oder zur Geschlechtsidentität können nicht nur grenzüberschreitend, sondern auch persönlichkeitsverletzend sein, insbesondere wenn die bereits vorhandenen Informationen dazu nicht von der betroffenen Person selbst stammen. Hat sie aber bereits darüber gesprochen, empfiehlt es sich bei weiterer Neugier direkt nachzufragen, ob dazu noch ein paar Fragen gestellt werden dürfen. Lehnt sie ab, ist dies vorbehaltlos zu akzeptieren.»


Zeug:innen von sexueller Belästigung, die nichts dagegen tun, sind für mich Mittäter:innen.

«Eine solche Pauschalaussage ist angesichts der vorherrschenden Abhängigkeitsverhältnisse und Machtstrukturen im Erwerbsleben schwierig. Punkto Meldung, Abwehr und Intervention haben Zeug*innen grundsätzlich ähnliche Bedenken wie Direktbetroffene: Angst vor Arbeitsplatzverlust (Rachekündigung), Ausgrenzung und Schuldzuweisungen oder sonstige Nachteile. Eine Intervention von Zeug*innen ist immer wünschenswert, denn sie leistet einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen toxische, sexualisierte, homo- und transphobe Betriebskulturen und gegen strukturellen Sexismus im Erwerbsleben, der nach wie vor Gang und Gäbe ist.»